Tja, die Liebe!
02.11.2021 Bochum 14 Uhr 30
Ich reiße das Blatt Papier vom Block, zerknüdel es und werfe es hinter mich.
Mist! Mir fällt nichts ein. Der Schreiblust-Verlag hat das Thema „Flaschenpost von 1721“ ausgegeben.
Idee 1: Geist in der Flasche. Aber als ich am 01.11.21 auf der Webseite war habe ich gelesen, dass Miklos so etwas in der Art schon geschrieben hat. Also weiter!
Idee 2: Pestviren (von der Pest in Marseille 1721), die sich in der Flasche befinden. Pandemie! Habe gegoogelt: Pestviren überleben nicht. Also weiter.
Idee 3: In der Flasche befinden sich grüne Samenkörner, die sich als Aliens entpuppen, wenn sie mit Sauerstoff in Berührung kommen. Invasion! Geschichte läuft nicht rund.
Wieder fliegt ein Papierknäuel hinter mich. Die Katzen freut es.
Gelangweilt schaue ich aus dem Fenster. Mein Herz macht einen Sprung. Da ist er! Mein Traummann! Mir wird ganz flau im Magen und meine Beine werden weich. Gleich klingelt er bei mir. Heute muss ich es wagen. Heute! Sonst mache ich es nie!
Vor vier Wochen fiel er mir auf. Ein großer blonde Hüne mit Grübchen! Genau mein Typ. Ich lief auf dem Bürgersteig, während er zwei Bierkästen zu einem Hauseingang trug. Unsere Blicke trafen sich kurz und bei mir landete Amors Pfeil mitten in mein Herz. Am folgenden Dienstag beobachtete ich ihn vom Wohnzimmerfenster meiner Wohnung aus, wie er die Kästen zum Haus Nr. 11 lieferte.
Um ihn kennenzulernen, muss ich was bestellen, dachte ich. Ich wohne im Erdgeschoss, also kann ich ja nicht nur einen Kasten bestellen. Deshalb bestellte ich 10 Kästen Mineralwasser. Am nächsten Tag sollte geliefert werden. Ich konnte den ganzen Vormittag nichts tun, sondern wartete nur darauf, dass es klingelte.
Die Klingel ertönte. Mit zitternden Händen nahm ich den Hörer ab.
„Ja, bitte?“
„Flaschenpost! Lieferung für Schneider!“
Ich drückte den Türöffner. Jetzt kommt er. Jetzt! Aber …? Nein, ein kleiner dicker verschwitzter Mann stieß die Haustür auf und brachte die ersten beiden Mineralwasserkästen.
„Äh …“, stotterte ich. „Ich dachte ihr blonder Kollege liefert in dieser Gegend die Getränke aus?“
„Ach, der Matthes. Ne, ne. Der macht nur Bier!“ sagte der Bote in salopper Ruhrpott Art, als er an mir vorbei in meine Wohnung ging
Mist! Ich mag kein Bier.
Nach der Lieferung rief ich erneut bei der Flaschenpost an und bestellte 10 Kästen Fiege Pils.
Am nächsten Tag wartete ich wieder ungeduldig auf das Klingeln. Um 12 erlöste mich der Klingelton. Ich betätigte den Türöffner und schielte langsam zur Haustür. Ja, er ist wirklich!
Lächelnd kam er an meine Tür.
„Tachchen. Zehn Kästen Bier! Große Fete, wa?“
Ich bekam vor Aufregung keinen Ton heraus und krächzte nur: „So ähnlich.“ Nachdem er die Kästen in mein Wohnzimmer getragen hatte, übergab er mir die Rechnung. Vor lauter Verlegenheit konnte ich ihn nicht anschauen.
Ich hörte noch ein freundliches „Danke“ und „Tschüssken“ und weg war er.
Frau Schneider, was war das denn? sagte ich zu mir selbst. Kriegst du Alzheimer? Jetzt reiß dich beim nächsten Mal zusammen!
Die nächsten drei Wochen bestellte ich dreimal 10 Kästen Bier.
Und jedes Mal das gleiche Spiel. Ich krächzte nur. Außerdem schaute er mich immer misstrauischer an, denn der Berg an Getränkekästen wuchs und wurde nicht kleiner.
Gestern hatte ich mit meiner Freundin Rollenspiele geübt. Sie spielte den Boten der Flaschenpost und ich gab alles. Nach 5 Stunden war ich so trainiert, dass der Bote mich im Schlaf wecken könnte, und ich mit einer perfekt flüssigen Rede hätte antwortete können. Ich war bereit!
Diesmal habe ich nicht die ganze Zeit unruhig in der Wohnung gewartet, sondern am Schreibtisch gearbeitet. Als es klingelt, erhebe ich mich langsam und öffne die Haustür. Freundlich kommt er mir entgegen.
„Tachchen, die nächste Lieferung.“
„Hallo“, sage ich mit fester Stimme. „Toll, dass Sie da sind.“
Er trägt die ersten Kisten ins Wohnzimmer, neben den mittlerweile 40 anderen Bierkisten.
Als er fertig ist, fange ich ihn im Flur ab und frage ihn, ob er mit mir mal ausgehen würde. Endlich ist es raus!
Er druckst herum und kratzt sich am Kopf. Mir wird mulmig zu Mute.
„Sorry, aber ich stehe nich auf Frauen!“
Der Schlag mit dem Hammer! Scheiße, daran habe ich gar nicht gedacht!
„Hasse deshalb so viel Bier gekauft, um mich kennenzulernen?“
Ich nicke verlegen.
„Respekt. Da fühle ich mich sogar irgendwie geehrt. Noch mal Sorry.“
Er murmelt noch irgendwas und ist dann weg. Ich habe einen Kloß im Hals und schließe langsam die Tür. Meine Beine fühlen sich an, als wären sie aus Pudding. Wie in Zeitlupe sacke ich an der Wohnungstür nach unten, bis ich auf dem Boden sitze.
Wo ist das nächste Loch, in das ich versinken kann? Wie peinlich war das denn? Und wie blöd bin ich. Das erzählt er bestimmt seinen Kollegen und die meinen Nachbarn und und …
Nicht auszudenken. Am besten ziehe ich weg.
Ich erhebe mich, gehe ins Wohnzimmer und starre auf die Kästen. Mit ist hundeelend. Ich nehme eine der Bierflaschen heraus und schaue sie lange an. Der Bügelverschluss knackt beim Öffnen und ich trinke direkt aus der Flasche.
Schmeckt doch gar nicht so schlecht. Ein bisschen warm, aber geht. Wie war das noch in dem Lied mit den sieben Fässern Wein?
–
Acht Wochen später. Der Liebeskummer ist vergessen. Die Wohnung werde ich nicht kündigen und zur Vernichtung der weiteren Kästen hatte ich Freunde eingeladen.
Mein Leben geht weiter und ich bin gespannt darauf.
Barbara Maahs
Barbara Maahs
Hamburg
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